Demenz - Die Natur der Krankheit genauestens hinterfragt...

Möchten wir das Krankheitsbild Demenz verstehen, dann müssen wir weitergehen, als dies bei der in der Gesellschaft häufigen Kategorisierung der Fall ist. Wir müssen beginnen, tiefer in die Thematik einzudringen und all dies zu durchleuchten, wozu man heute im Kontext der Demenz ganz einfach "Vergessen" sagt. Alterix geht in diesem Artikel genauestes darauf ein, was Demenz ist.

Inhaltsverzeichnis

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Die sprachliche Einordnung: Mehr als das bloße Vergessen!

Im Allgemeinen verbinden wir mit Demenz das sogenannte Vergessen: Schusselig werden, Termine verpassen, Namen nicht parat haben, Handtasche zurücklassen, Schlüssel verlegen. Das alles passiert natürlich in der Demenz; das ganze Vergessen. Aber Vergessen reicht nicht, um die Demenz zu beschreiben.

Das Wort Demenz bedeutet „ohne Geist“ oder „ohne Verstand“. Wenn wir uns die Wortbedeutung genauer ansehen, müssen wir uns aber fragen, ob das wirklich der Lebensrealität von Demenz entspricht. Sind Menschen mit Demenz „ohne Geist“ oder „ohne Verstand“?

Ich erzähle Ihnen hierzu eine Geschichte:

Eine alte Dame, die mit fortgeschrittener Demenz in einer WG für Menschen mit Demenz lebte, war sehr in ihrer Welt versunken. Tägliche Situationen wie Umkleiden am Morgen und am Abend, Waschen, Zähne reinigen, Nägel schneiden, Essen- all das war schwierig und immer mit viel gutem Zureden und „einem günstigen Zeitpunkt“ verbunden. Auf die Frage, wer sie sei, antwortete sie mit „Ich bin ..“ und nannte dann ihren Vornamen. Wir haben oft vermutet, dass sie sich in der Realität ihres Kindheits- oder Jugend-Ichs befand. Ihr Mann, ihre Kinder, alles spielte keine Rolle und sie erkannte ihre Verwandten nicht. Aber aus dem Nichts konnte sie Platon auf Griechisch oder den „Gallischen Krieg“ auf Latein fehlerfrei zitieren, Gedichte dahersagen (wunderbar betont übrigens) und das ein oder andere Mal wurden wir Pflegenden „abgefragt“ und wehe, wir konnten unsere Stammformen nicht! Sie war Oberstudienrätin, gebildet, klug, mit viel Witz und konnte gleichzeitig schimpfen wie ein Kutscher.

Werden wir einem Menschen gerecht, wenn wir annehmen, eine Demenz mache ihn oder sie „geistlos"?

Wie kann jemand, die aus dem Stand Altgriechisch zitieren kann, „ohne Geist“ sein? Wird es Menschen gerecht, wenn wir sie auf ein Merkmal ihres Seins - das Vergessen - reduzieren? Ist Demenz eine Form der Geistlosigkeit? Sie ahnen schon. Meine Antwort lautet: Nein.

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Nein, weil der Geist und der Verstand eingeschränkt sein mögen, aber „ohne Geist“? Nein. Was weggeht, ist ein Teil des Gedächtnisses: Erworbenes Wissen, erlernte Fähigkeiten, anerzogene Regeln und Konventionen. Körperliche Funktionen gehen mit den erlernten Fähigkeiten und Regeln schrittweise und teilweise verloren oder sind eingeschränkt. Gefühle werden unter Umständen stärker erlebt. Aber der Geist, welchen wir als Verstand bezeichnen, geht nicht einfach weg. Das was der Person wichtig war - ihre Rituale, ihre Werte, ihre Gewohnheiten und die damit verbundenen Gefühle - bleiben sehr wohl. Hier funktioniert Erinnerung sogar in einer Weise, die beeindrucken kann. Hast du schon mal mit einer Frau, die ihr Leben lang eine Rätsel-Zeitschrift nach der anderen gelöst hat, Kreuzworträtsel gelöst? Ich schon und ich habe elendig versagt! Die Dame hätte dir nicht sagen können, welcher Monat ist oder wer die Menschen sind, mit denen sie zusammengelebt hat. Ich empfinde es als eine stark verkürzende und fast schon entwürdigende Interpretation von Demenz, den Menschen mit Demenz einfach einen Zustand ohne Geist zu attestieren.

Du wirst dich wohl fragen, warum ich darauf einen solchen Wert lege, den Begriff „Ohne Geist“ zu hinterfragen... Am Ende werden wir ihn stehenlassen müssen aus Mangel an einer adäquaten Beschreibung. Mir hingegen ist es wichtig, achtsam mit Sprache umzugehen. Denn so achtsam, wie wir über Menschen reden, so achtsam werden wir sie behandeln!

Menschen mit Demenz sind oft auf Hilfe angewiesen und das macht sie abhängig. Wenn wir achtsam damit umgehen, wie wir sie benennen und über sie reden, dann werden wir achtsamer mit den Menschen selbst umgehen. Achtsamer Umgang mit Menschen bedeutet, besser hinzuhören und hinzufühlen, was die Menschen brauchen. Es bedeutet, sich auf den Menschen einzulassen und seine Bedürfnisse zu respektieren. Das nennt sich Beziehungsaufbau mit Vertrauen. Solche Beziehungen schützen im Endeffekt nicht nur die vermeintlich Schwächeren in einer Betreuungsbeziehung, sondern beide Menschen in dieser Beziehung. Wer achtsam mit anderen umgeht, erkennt zudem eher die eigenen Grenze, was wiederum vor toxischer Kommunikation schützt, aber auch ganz direkt vor Gewalt in einer Pflegebeziehung. Zu all dem werden wir in den weiteren Artikeln in verschiedenen Zusammenhängen immer mal wieder kommen.

Nachdem wir auf das Wort Demenz und dessen Bedeutung geschaut haben, werden wir nun auf die Diagnose "Demenz" eingehen: Was sagt die Medizin?

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Die medizinische Einordnung: Eine Reihe an möglichen Klassifizierungen

Medizinisch gesehen gibt es sowohl ursächlich als auch symptomatisch gesehen nicht eine Demenz. Es gibt vielmehr eine Reihe von Veränderungen, die dem dementiellen Spektrum zugeordnet werden, weil ihre Symptomatik eine ähnliche ist. Der derzeitige Forschungsstand und die aktuellen Statistiken zu Demenz sehen folgendermaßen aus:

Für die Diagnose und Begleitung einer Demenz sind NeurologInnen und PsychiaterInnen zuständig. Laut Definition der Neurologen und Psychiater im Netz ist Demenz „ein krankheitsbedingtes, erworbenes Defizit von Leistung der höheren Gehirnfunktionen. Die kognitiven Fähigkeiten - wie z.B. Erkennen, Gedächtnis, Sprache, Lernen und Planen - sowie die emotionalen und sozialen Fähigkeiten können (zunehmend) beeinträchtigt sein. Dadurch können Persönlichkeitsveränderung und Veränderungen der Gemütslage auftreten. Die Symptome einer Demenz hängen von der Art der Erkrankung ab, da es verschiedene Demenzformen mit unterschiedlichen Ursachen gibt. Oft handelt es sich dabei um nicht heilbare, fortschreitende Krankheiten, deren Erkrankungsverlauf jedoch gemildert werden kann.“

Dabei werden unterschiedliche Formen der Demenz unterschieden:

  • Alzheimer-Demenz
  • Vaskuläre Demenz
  • Mischformen der Vaskulären & der Alzheimer-Demenz
  • Demenz mit Lewy-Körperchen
  • Kognitive Störungen bei Depressionen
  • Weitere Demenzformen

Alzheimer-Demenz mit einem Anteil von ca. 40%: Sie ist benannt nach dem Psychiater Alois Alzheimer, einem Psychiater, der um die Jahrhundertwende des 19./20. Jahrhunderts Veränderungen am Gehirn einer Patientin in Form von Knötchen und Verkalkungen entdeckte und diese mit den Krankheitssymptomen „Verwirrtheit und Greisenblödsinn“ in Verbindung brachte. Seine Entdeckungen setzten den Grundstein zur modernen Gehirnforschung, vor allem zur Erforschung der Veränderungen des menschlichen Gehirns im Alter.

Vaskuläre Demenz mit einem Anteil von 10% aller Demenzen: Hauptursache einer Vaskulären Demenz sind Veränderungen der Gefäße im Gehirn durch Durchblutungsstörungen, für die unterschiedliche Grunderkrankungen verantwortlich gemacht werden können (z.B. Schlaganfälle, Diabetes Mellitus, Bluthochdruck).

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Mischformen der Vaskulären und der Alzheimer-Demenz gibt es in 30% der Fälle.

Demenz mit Lewy-Körperchen mit ca. 15% aller Demenzen: Bei dieser Form der Demenz sind in der Großhirnrinde sogenannte Lewy-Körperchen angesiedelt, die auch bei der Parkinson-Erkrankung zu finden sind. Zu den sonstigen demenztypischen Symptomen kommen hier Wahrnehmungsstörungen, Einschränkungen der geistigen Wachheit und Parkinson-typische Bewegungsprobleme und räumliche Wahrnehmungsstörungen. Von dieser Form der Demenz sind mehr Männer als Frauen betroffen.

Kognitive Störungen bei Depressionen; auch Demenz-Syndrom bei Depression genannt: Manchmal wirken Konzentrationsprobleme und Beeinträchtigungen der Erinnerung und des Denkvermögens wie Symptome einer Demenz. Der deutlichste Unterschied ist, dass sich die Symptome durch die Einnahme von Antidepressiva zurückbilden.

Andere Demenzformen mit unterschiedlichen Ursachen: Hierher gehören das Korsakow-Syndrom (durch Alkoholkrankheit) und demenzsymptomatische Erscheinungen durch Schädel-Hirn-Verletzungen, Hirntumore, Schilddrüsenunterfunktion, entzündliche Erkrankungen des Nervensystems wie MS oder AIDS.

Für sämtliche der hier angeführten Demenzformen gilt:

  • Sie haben ähnliche Symptome
  • Sie sind nicht heilbar, aber wahrscheinlich kann man sie herauszögern oder bedingt vorbeugen.
  • Eine richtige Diagnose ist wichtig: Einerseits um andere Krankheiten, die eine Symptomatik ähnlich der Demenz haben, auszuschließen. Andererseits bedeutet eine gründliche Diagnose auch, die richtige Therapieform zu finden.

Fachleute sind sich darin einig, dass Demenz eine chronische - das heißt fortschreitende - Erkrankung ist. Oft wird von einer "erworbenen" Erkrankung gesprochen. Dies bedeutet, dass Umwelteinflüsse, Lebensgewohnheiten wie Ernährung, Konsum von Genussmitteln und Drogen wie Kaffee, Nikotin, Zucker usw. einen Einfluss auf die Veränderungen im Gehirn haben könnten. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass bestimmte Faktoren das Auftreten einer Demenz begünstigen. Das macht insofern Sinn, als dass die o.g. Einflüsse natürlich etwas mit Gefäßverengungen und der sogenannten Verkalkung zu tun haben können. Aber nicht alle RaucherInnen, alle „Zuckerkranken“, alle Alkoholkranken usw. werden dement und ebenso nicht alle Menschen, die ungünstigen Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Es ist also davon auszugehen, dass neben o.g. noch andere, individuelle Faktoren eine Rolle spielen. Das sind einerseits genetische Faktoren, andererseits Lebensumstände und biografische Aspekte. Es gibt auch Untersuchungen, die unsere schnelle Gesellschaft, unsere vielen elektromagnetischen Einflüsse und die viel zu schnelle technische Entwicklung für einen gewissen Einfluss auf die Ausbildung einer Demenz verantwortlich machen. Dies ist ein weiterer Gedankengang.

Fazit

Wir werden insgesamt festhalten müssen, dass die Ursachen einer Demenz wahrscheinlich nicht monokausal sind. Alle o.g. Ursachen sind möglich und bei dem derzeitigen Forschungsstand wäre es sinnlos, sich auf ein Ergebnis festzulegen. Ob es eine Form der Vorbeugung gibt, auch hierbei scheiden sich die Geister. Es schadet sicher nicht, gesund zu leben, Genussmittel vernünftig zu konsumieren, viel Bewegung am besten an der frischen Luft zu haben. Es ist zudem immer förderlich, sich geistig flexibel zu halten und nicht zu vereinsamen! Welche der Maßnahmen zur Gesundheitsförderung letztendlich eine Demenz verzögern, kann niemand genau sagen. Eine Mischung aus allem ist optimal! Eins jedoch scheint festzustehen: Eine Demenz kann vielleicht sowohl in der Entstehung als auch im Verlauf mal mehr und mal weniger verzögert werden, aber sie kann weder ganz aufgehalten noch geheilt werden. Dementsprechend ist eine gesunde Lebensweise bereits ein vernünftiger Anfang.

Kommentar von Susanne M. |

Die Persönlichkeit meines Vaters hatte sich durch die Demenz stark verändert. Früher verbrachte er einen Großteil des Tages allein im Wohnzimmer, wo er in seinem Lieblingssessel saß, Schach gegen den Computer spielte, las oder klassische Musik hörte. Bei schönem Wetter ging er gern im Wald spazieren. Auch war er ein eher ruhiger, fast schon wortkarger Mann.
Mit fortschreitender Demenz wandelte er sich zu einem leicht reizbaren, fordernden Menschen, der nicht gut allein sein und sich erst recht nicht selbst beschäftigen konnte.
Im Nachhinein haben meine Mutter, meine Schwester und ich überlegt, wann und wie sich die Krankheit anfangs geäußert hatte. War es, als er mir mit Anfang 70 half, meine Wohnung zu renovieren und dabei ständig zu essen und zu trinken vergaß?

Was ist die Summe aus 4 und 6?
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